27.04.2022
125 Jahre Bahnhofsmission München

Gemeinsame Pressemeldung: Evangelisches Hilfswerk München und IN VIA München

Vom „Mädchenschutz“ zum sozialen Kompetenzzentrum
Bahnhofsmission München feiert ihr 125-jähriges Bestehen

Am 29. April 2022 richtet die Bahnhofsmission München um 10 Uhr in der Abtei St. Bonifaz ein Dankes-Fest anlässlich ihres 125-jährigen Bestehens aus. Im Zentrum des Festes steht ein Gottesdienst, den Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm und Erzbischof Reinhard Kardinal Marx gemeinsam leiten werden. Seit eineinviertel Jahrhunderten ist diese Einrichtung in katholischer und evangelischer Trägerschaft an der Seite von Hilfesuchenden. Dabei sind die jeweiligen Notlagen von der aktuellen gesellschaftspolitischen Situation geprägt.
Momentan sind viele ukrainische Geflüchtete unter den Besucherinnen und Besuchern der Bahnhofsmission München. Allein im Zeitraum von Ende Februar 2022 bis 20. April 2022 kamen insgesamt 3389 Ukrainerinnen und Ukrainer zur Bahnhofsmission, zusätzlich zu den weiteren 18.000 Hilfesuchenden im gleichen Zeitraum. Die Geflüchteten erhielten dort Lebensmittelpakete, Babynahrung, Kleidung und Schutzmasken. Mit 1612 Personen aus der Ukraine wurde ein ausführliches Beratungsgespräch geführt. Dabei ging es um Klärungen, Informationen, die Weitervermittlung an zuständige Ansprechpartner sowie die notwendige Versorgung, die aus Spendenmitteln erfolgte. 234 Frauen und Kinder aus der Ukraine haben in diesem Zeitraum in der Bahnhofsmission und im ge-schützten Übernachtungsangebot „Lavendel“ sowie in einem weiteren angemieteten Pensionszimmer übernachtet. Als die ersten ukrainischen Geflüchteten auf dem Hauptbahnhof eintrafen, haben in den ersten Tagen 500 Personen in der ehemaligen „Osteria“ im Bahnhof übernachtet und wurden dabei von der Bahnhofsmission betreut.
Mit dem Ankommen der ersten Geflüchteten aus der Ukraine wiederholte sich eine Gründungserfahrung der Bahnhofsmission München: der Schutz und die Betreuung von Menschen, die am Münchner Hauptbahnhof ankommen.
Der Schutz von Mädchen und jungen Frauen waren es, der im Jahr 1897 zur Gründung der Bahnhofsmission München geführt hatte. Damals wurden immer wieder Mädchen, die vom Land in die Großstadt kamen, abgefangen. Deshalb gehörte die gebürtige Schwedin Ellen Ammann zunächst 1895 zu den Gründerinnen des Marianischen Mädchenschutz (heute IN VIA München), um neu ankommenden jungen Frauen zu helfen. Bald war klar, dass man dauerhaft mit Ansprechpartnerinnen am Münchner „Centralbahnhof“ präsent sein wollte. Sowohl evangelische als auch katholische Christinnen kooperierten bei der Bahnhofsmission von Anfang an. Damals wie heute gab es zwar je einen katholischen und einen evangelischen Träger, doch die ökumenische Zusammenarbeit im Dienst der Klientinnen war von Anfang an gewährleistet.
Seit dem 28. Januar 1897 ist die Bahnhofsmission München aktiv. Zunächst engagierten sich 17 Frauen ehrenamtlich jeden Tag von 8:30 Uhr bis 21 Uhr. Als „Büro“ der Bahnhofsmission fungierte ein Tisch mit verschließbarer Schublade in der Wartehalle für die 3. Klasse. Auf diesen gemeinsamen Dienst beider Konfessionen wiesen Plakate in den Waggons der 3. Klasse hin. Erst 1914 gab es einen eigenen Kiosk für die Bahnhofsmission.

Zum „Mädchenschutz“ kamen nach und nach weitere Aufgaben. Seit Beginn des Ersten Weltkriegs mussten Verwundete begleitet, später Hungernde und Kranke versorgt werden. Zur Zeit der Hyperinflation 1923 bot die Bahnhofsmission eine Suppenküche und andere Formen der Notversorgung. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs waren in München nur noch rund 40 Prozent der Gebäude intakt. Die Züge konnten nur noch bis München-Laim fahren und mussten dort wenden. Deshalb begann die Arbeit der Bahnhofsmission 1945 in einem angemieteten Raum in Laim, wo Tee gekocht sowie Brot und Medikamente verteilt wurden. Später zog die Bahnhofsmission in einen ausgedienten Luftschutzbunker, den ihr die Bahn überließ. Seit langem hat die Bahnhofsmission nun ihre Räume am Gleis 11.
In den 1950-er Jahren übernahm die Bahnhofsmission München im Auftrag der Landeshauptstadt die Funktion eines Wochenend-Sozialamts für Problemfälle, wenn alle anderen Behörden geschlossen hatten. In den 1960er- und 1970-er Jahren kamen immer mehr Gastarbeiter am Münchner Hauptbahnhof an. Ab den späten 1970-er Jahren reisten auch unbegleitete minderjährige Flüchtlinge ein.
Nach dem Fall des „Eisernen Vorhangs“ gehörten immer mehr Menschen aus Osteuropa zu den Besucherinnen und Besuchern der Bahnhofsmission. Darunter waren zahlreiche Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem früheren Jugoslawien, das gerade in Einzelstaaten zerfiel. Viele wollten in München bleiben und sich eine Existenz aufbauen. Etlichen gelang dies. Aber viele osteuropäische Menschen waren arbeitslos, ohne Wohnsitz und ohne Anrecht auf Sozialhilfe.

Seit den 1980-er Jahren stieg die Zahl obdachloser Menschen in München dramatisch an. Nicht erst dadurch wurde deutlich, dass die Arbeit der Bahnhofsmission eine seismografische Frühwarnfunktion für die Gesellschaft insgesamt innehat. Denn Themen am Bahnhof, die zunehmend mehr Menschen betreffen, sind in der Regel bald darauf im gesamtgesellschaftlichen Leben bedeutsam.
Markant in Erinnerung bleiben die Tage im September 2015 nach der Öffnung der Grenzen der Bundesrepublik für eine große Menge syrischer und anderer Geflüchteter. Die meisten von ihnen kamen am Münchner Hauptbahnhof an. Wochenlang wurden die Menschen an schnell aufgebauten Tischen mit Essen, Getränken, Kleidung und Drogerieartikeln versorgt. Die Bahnhofsmission war immer mit dabei.
In den letzten Jahren kamen zunehmend mehr Münchnerinnen und Münchner in die Bahnhofsmission, die oft noch eine eigene Wohnung hatten, aber am unteren Rand des Existenzminimums lebten. Außerdem kamen vermehrt psychisch auffällige Personen. In der Corona-Pandemie war die Bahnhofsmission eine besonders wichtige Anlaufstelle für Menschen am Rande der Gesellschaft.
Und nun, in ihrem Jubiläumsjahr 2022, ist die Bahnhofsmission München intensiv mit der Betreuung von Geflüchteten aus der Ukraine befasst, zusätzlich zur Versorgung aller anderen Hilfesuchenden. Sicher ist: Der Bedarf an dieser Einrichtung bleibt auch nach 125 Jahren bestehen.